
Petrolettes Festival in Berlin: Sprintrennen, Spaß und jede Menge Motorrad
200 Bikerinnen finden Ende Juli 2016 den Weg nach Berlin und verbringen gemeinsam ein originelles Party-Wochenende an der Havel.
Von einer Weltreisenden lernen
Ich gehöre zur Gruppe der bequemen Tourenfahrerinnen, die gerne Komfort hat, sowohl auf dem Motorrad als auch die Unterkunft betreffend. Doch meine Reisepartnerin ist Weltenbummlerin Doris Wiedemann. Ihr ist Komfort ziemlich schnuppe. Sie schläft selbstverständlich im Zelt. Als Doris mir die freie Hälfte darin anbietet, was sich die üblicherweise Alleinreisende sicher zweimal überlegt hat, schmeiße ich alle meine Vorlieben über Bord. Ich organisiere mir eine Schlafsack-Isomatten-Kombination, ein Microfaser-Handtuch und ein aufblasbares Kopfkissen (für den Komfort aber mit kleinem Packmaß). Schließlich bekomme ich von Doris noch eine Blechtasse geschenkt. Denn ohne eigene Tasse kann man auf gar keinen Fall zelten. Und für das nächste Mal gibt es keine Ausrede mehr.
Was nehme ich mit?
Das Angebot, mit einer Ducati Scrambler Icon zum Festival zu fahren, nehme ich gerne an. Das Retrobike passt gut zum Festival. Zusätzlich zu meiner üblichen Textilbekleidung nehme ich noch die Motorradjeans und -sneakers mit. Auch die Lederjacke kommt zum Einsatz. Einzig mein Klapphelm in Pearlpink will nicht so recht zum restlichen Outfit passen. Aber er ist unverzichtbar. Zum einen empfängt er die Ansagen des Navigationsgerätes zum anderen fühle ich mich damit einfach sicher. Immerhin muss ich über 600 Autobahnkilometer abspulen. So kommen Doris und ich auch ziemlich platt am Festivalgelände an der Havel an. Das Zelt hat Doris fix aufgebaut, während ich mich nach dem obligatorischen Ankommenbier umschaue.
Die Menschen müssen passen – nicht die Bikes
Unsere Zeltnachbarinnen sitzen bereits gemütlich unter ihrem Pavillon und genießen die Abendsonne. Die Motorräder haben die Frauen auf dem Hänger oder im Bus transportiert. Verständlich, denn das alte Eisen ist weder reisetauglich noch zuverlässig – aber es sieht klasse aus. Ihr Club nennt sich "Lipstick & Gasoline". Sie sind aus Süddeutschland angereist. Mit perfektem Make-up und Haarstyling haben sie die Zelte aufgebaut, den Grill angeheizt und das Bier gekühlt. Ich ignoriere das Fehlen einer Dusche und tauche ein in die ausgelassene Atmosphäre, quatsche mit meinen Zeltnachbarinnen und schaue mir die Motorräder der Neuankömmlinge an.
Am nächsten Morgen bin ich früh wach. Zum einen hat sich mein "Bett" doch als etwas unbequem herausgestellt, zum anderen donnern die ersten Flugzeuge vom nahegelegenen Flughafen Tegel über das Festivalgelände hinweg. Ich kabble aus dem Zelt und finde andere Frühaufsteherinnen auf der Suche nach Kaffee.
Eine von ihnen ist Nina. Sie ist mit ihrer Suzuki GN 250 Baujahr 94 aus Hamburg angereist. Ihr Freund hat das Petrolettes-Festival auf Facebook entdeckt und Nina kurzerhand angemeldet. Ein bisschen Bammel hatte sie schon vor der langen Strecke, doch sie hat es geschafft. Ihr Freund hat sie begleitet, musste sich dann aber zurück ziehen, da auf dem Gelände keine Männer erlaubt sind.
Von modernen Motorrädern hält die 40jährige nichts. Zu viel Plastik, zu viel Technik. Sie mag den Style der alten Bikes, die schönen, runden Formen. Auch ihre Suzuki ist ein kleinwenig gepimpt.
Inge aus Berlin gesellt sich zu uns. Sie hat ihren Führerschein mit 57 gemacht und ist verständlicher Weise super stolz darauf. Das Ziel Motorrad zu fahren hat ihr durch eine schwere Krankheit geholfen. Die Motorräder sind ihr gar nicht so wichtig. Es muss Spaß machen. „Es geht um die Menschen, die sich an so einem Festival treffen - die müssen passen und nicht die Bikes" sagt sie und hat damit auch recht.
Frauen unter sich
Mit viel Engagement und Leidenschaft veranstaltete der unter Leitung von Cäthe und Irene entstandenen Club "THe Curves" vom 29. bis 31. Juli 2016 das erste Frauen-Motorradfestival "Petrolettes" in Berlin. Inspiriert durch die amerikanische Initiative "Babes ride out", die Bikerinnen aus der virtuellen in die reale Welt bringt, kreierten die beiden Powerfrauen ein buntes Event, das eine ganz neue Generation von Bikerinnen anspricht.
Natürlich habe es im Vorfeld Vorurteile und Anfeindungen gegen das Festival gegeben, da Männer auf dem Gelände nicht zugelassen sind, erzählt Cäthe Pfläging. Zusammen mit Irene Kotnik sind sie die Frontfrauen des Happenings und Gründerinnen des Motorrad-Clubs "The Curves". „Wir wollen Männer nicht ausgrenzen, sondern Frauen einbeziehen", erklärt die gebürtige Kölnerin das Event-Konzept. Von der Industrie enttäuscht, nehmen sie es jetzt selbst in die Hand und bringen Frauen zusammen, die Motorradfahren und Bekleidung und Zubehör herstellen oder verkaufen. Ein hoher Anspruch, doch die Community ist tolerant. Die Männer, die beim Catering und in der Security arbeiten, dürfen bleiben. Wichtig ist das Programm. Und da ist für jeden etwas dabei: Relaxen, Quatschen, Straßenrennen, Party, Musik und Kultur.
Endlich etwas Gescheites zu essen
Zum Frühstück gibt es Rührei aber auch Porridge mit frischem Obst. Das Catering ist eine Wohltat für alle, denen Pommes und Steakbrötchen auf Festivals zum Hals raus hängen. Hier gibt es Burger mit frischen Zutaten, wahlweise vegetarisch oder vegan.
Ride-out, Straßenrennen und Party
Irgendwann am Vormittag versammeln Cäthe und Irene alle in der BBQ-Area. Der Corso durch die Stadt und die Sprintrennen werden besprochen. Damit auch die Teilnehmerinnen aus Dänemark, Polen, Holland und sogar aus Island und aus den USA verstehen, worum es geht Es wird fleißig Englisch geredet, was nicht nur modern sondern auch praktisch ist, damit. Die Abfahrt ist dann etwas chaotisch. Ich sehe zu, dass ich beim Losfahren vorne in der Gruppe mit schwimme. 60 Bikes durch den dichten Berliner Stadtverkehr zu führen - ohne Polizeieskorte oder Straßensperren, ist schon eine Herausforderung. Wir fahren raus aus Berlin Richtung Osten. Nach einer dreiviertel Stunde halten wir irgendwo im Nirgendwo.
Als Rennstrecke dient eine gerade Straße aus Betonplatten. Die Entfernung zwischen Start und Ziel wird nicht gemessen, auch nicht die gefahrene Zeit. Immerhin gibt es Flaggirls auf Rollschuhen, die Start und Ziel markieren. Jede, die Lust hat, kann mit ihrem Motorrad mitfahren. Einzig die Kubikzahl der gegeneinander antretenden Maschinen sollte ähnlich sein. Jetzt wird es mir doch etwas mulmig, denn es gibt keine Genehmigung und auch keine Sicherheit vor Ort. Doch die anderen scheint das nicht zu stören. Motoren röhren auf, es wird Gas gegeben, bis zum Anschlag. Jede bekommt ihren Applaus und alle haben Spaß.
Als wir am frühen Abend zum Festivalgelände zurück kommen, ist die Händlermeile aufgebaut. Es gibt "The Curves"-Merchandising-Artikel, handgearbeitete Nierengurte für über die Lederjacke, Accessories und stylische Motorradklamotten, die man bei Ketten und Händlern vergebens sucht. Die obligatorische Tätowiererin darf natürlich auch nicht fehlen. Während ich einen Veggi-Burger verdrücke, werden kurzentschlossen die schönsten Motorräder gekürt. Auch Ninas Suzuki ist dabei.
Später am Abend nimmt die Party dann noch einmal Fahrt auf. Die Punk-Rock-Band Gurr heizt dem Publikum richtig ein. Den krönenden Abschluss bildet ein Raffle - zu Deutsch: Tombola. Die Verlosung ist wie das komplette Event – eine einzige Party. Konfetti fliegt, die Szene feiert sich selbst: weiblich, unkonventionell, selbstbewusst
Mein Fazit
Diese Frauen machen Lust auf mehr – mehr Motorrad, mehr Miteinander, mehr Lebensfreude. Sie sind motovierend hinsichtlich Toleranz und Vielfalt. Sie nutzen moderne Medien perfekt, um sich zu vernetzen und zu inszenieren. Wenn auch vieles improvisiert war, nicht alles einer behördlichen Prüfung standgehalten hätte, war dieses Fest auf jeden Fall eine Inspiration und Bereicherung für die gesamte Szene. Und eines hat ganz sicher nicht gefehlt: Männer.
Text: Frauke Tietz
Bilder: Frauke Tietz, Sabine Welte
Impressionen Petrolettes Sommer 2016
Petrolettes 2016 - ensemble from Petrolettes on Vimeo.


