
Mein Motorrad und ich - Yes, I can! Teil 3 - Wer sein Fahrzeug liebt, der schiebt
Hohes Motorrad, kurze Beine. Viele Frauen lassen sich trotzdem nicht vom Kauf abschrecken. Doch der Alltag ist tricky. Weltenbummlerin Doris Wiedemann gibt Tipps, wie das Handling von Enduros und Boliden mühelos gelingt. Diesmal: Motorradschieben leicht gemacht.
von Doris Wiedemann
Immer wieder beobachte ich Kurzfüßler wie mich, die auf dem Motorrad sitzen und sich abmühen, ihr Bike aus einer Parklücke heraus zu fusseln. Rückwärts natürlich. Auf derartige Akrobatik lasse ich mich gar nicht ein. Ich steige lieber ab und schiebe. Dann stehe ich sicher mit zwei Beinen auf der Erde und kann das Gewicht meines Motorrades besser kontrollieren.
In vielen Fahrtrainings demonstriert der Instruktor, dass ein Motorrad ganz von alleine steht. Mit ruhiger Hand lässt sich ein Motorrad tatsächlich mit zwei Fingern ausbalancieren. Das gilt - zumindest theoretisch - auch beim Schieben: einfach das Motorrad gerade halten und in die gewünschte Richtung bugsieren. In der Praxis sind die meisten Motorräder so schwer, dass ich mich mit viel Kraft dagegen stemmen muss, um sie zu bewegen. Dabei schubse ich das Bike natürlich auch leicht aus der Balance. Das ist kein Problem, wenn sie auf meine Seite schwankt. Aber in der anderen Richtung habe ich dem Gewicht der meisten Motorräder nicht viel entgegen zu setzen und kann sie nicht einmal sanft niedergleiten lassen. Stattdessen falle ich am Ende womöglich selbst unsanft auf das liegende Motorrad.
Neigen und gegen Hüfte kippen
Deshalb neige ich das Motorrad ein wenig auf meine Seite. Wenn sie hoch genug ist, lehne ich sie einfach gegen meine Hüfte. Damit kann sie nicht mehr auf die andere Seite fallen. Wenn ich mich im selben Winkel schräg dagegen stelle, kann ich sie völlig kraftlos, ja sogar freihändig halten. Wenn sie so steht, kann ich unbesorgt meine Muskeln spielen lassen, um das Motorrad nach vorne oder hinten zu schieben. Das klappt mit ein bisschen Übung auch auf losem Untergrund wie Rollsplitt oder Schotter. Auf Eis ist es gut, sowohl in den Reifen als auch in den Schuhen Spikes zu haben, damit man nicht wegrutscht. Und bei Matsch empfehlen sich grobe Stollenreifen und ebensolche Stiefelsohlen. Aus eigener Erfahrung weiß ich jedoch: eine Garantie ist das leider nicht ...
Der Seitenständer sollte IMMER eingeklappt sein. Zum einen will man beim Schieben weder darüber stolpern, noch sich den Fuß anschlagen. Zum anderen schubst der Seitenständer das Motorrad auf die rechte Seite, wenn er mit Schwung gegen eine Unebenheit am Boden stößt. Apropos Schwung: Kleine Anhöhen verlieren ihren Schrecken, wenn man vorher ein bisschen Speed aufbaut. Ein bis zwei Meter reichen normalerweise, und schon geht es mit Hurra auch eine kleine Rampe hinauf.
Erster Gang statt Bremse
Bei hohen Motorrädern kann es schwierig sein, den Bremshebel zu erreichen, vor allem, wenn ein Tankrucksack montiert ist. Der Trick, den ersten Gang einzulegen und beim Schieben die Kupplung zu ziehen kostet leider etwas mehr Kraft, weil die Kupplung zwar Motor und Getriebe trennt, die einzelnen Scheiben aber immer noch eine gewisse Reibung haben. Bergab ist das aber nicht so schlimm und auch bei kleineren Motorrädern ein guter Trick. Und geradeaus ist es im Zweifel immer noch besser, als ungebremst irgendwo einzuschlagen.
Der Trick mit dem ersten Gang funktioniert natürlich auch beim Hauptständer. Einfach Kupplung ziehen und Motorrad vom Hauptständer schieben, dann Kupplung loslassen. Schon steht das Motorrad, anstatt ungebremst davon zu rollen. Aber Vorsicht: Auch beim Schieben kommt das Motorrad aus dem Gleichgewicht, wenn man mit eingeschlagenem Lenker bremst. Das kann dann dazu führen, dass man mal wieder üben darf, wie man das Motorrad aufhebt ...
Kennt Ihr den Spruch:
Wenn Du dein Leben so liebst wie ich mein Motorrad, dann lass Deine Finger davon!
Damit habe ich schon mehr als einen Mann vor den Kopf gestoßen, der mir in vorauseilender Hilfsbereitschaft mein Motorrad ausparken oder umdrehen wollte. Das tut mir natürlich leid. Eigentlich stoße ich Menschen ungern vor den Kopf. Und natürlich freue ich mich, wenn mir jemand seine Hilfe anbietet. Gleichzeitig bin ich mir auch nicht zu schade, um Hilfe zu bitten, wenn ich sie brauche. Aber ich möchte gerne die Möglichkeit haben, NEIN zu sagen und lasse mich ungern verunselbstständigen[1].
Wenn ich mir Tätigkeiten abnehmen lasse, die ich eigentlich selbst kann, habe ich keine Übung und verliere meine Kraft und mein Selbstbewusstsein. Erfahrung kommt vom Fahren - und das gilt auch fürs Schieben. Es gibt Männer, die das verstehen. Und wenn nicht? Auch egal. Wichtig ist, dass ich weiß, ich kann mein Motorrad selbst schieben. Dann kann ich nämlich einfach wegfahren, wenn es mir irgendwo nicht gefällt ;-)
Damit ich nicht dauernd um Hilfe bitten muss, überlege ich mir vor dem Einparken, wie ich dort wieder weg komme. In den meisten Fällen läuft es darauf hinaus, dass ich absteige und mein Motorrad rückwärts in einen Parkplatz schiebe. Das gilt besonders dann, wenn der Boden nach hinten abfällt. Rückwärts bergauf schieben ist nämlich kein Spaß, auch dann nicht, wenn man viel Übung hat. Also lieber gleich anders herum einparken.
Gewichtsverteilung des Bikes kennenlernen
Umgekehrt gilt natürlich: Wenn der Boden des Parkplatzes ansteigt, dann lieber vorwärts in die Lücke reinfahren. Und an Steigungen sollte man den ersten Gang immer drin lassen und das Motorrad so lange vor oder zurück rollen lassen, bis es durch das Getriebe gestoppt wird. Dann erst den Seitenständer ausklappen und abstellen. Auf diese Weise rollt das Motorrad nicht ungewollt davon und ich brauche später beim Schieben nicht unbedingt bis zum Bremshebel auf der rechten Lenkerseite greifen.
Natürlich fahre ich ein Motorrad lieber als es zu schieben. Aber eine mir unbekannte Maschine schiebe ich gerne ein paar Meter vor und zurück und eine halbe Umdrehung links herum und rechts herum. Auf diese Weise lerne ich die Gewichtsverteilung des Bikes kennen, bevor ich aufsteige. Ich weiß, wie hoch der Schwerpunkt ist, ob er eher vorne oder hinten oder zentriert in der Mitte liegt. Das ändert sich auch bei der eigenen Maschine, wenn man genug Gepäck auflädt ...
Womit wir beim Packen wären. Was nehme ich immer mit? Was habe ich nie dabei? Und wo verstaue ich meine Habseligkeiten wie am besten? Das schauen wir uns nächsten Monat an.
[1] Ist Euch schon einmal aufgefallen, dass man kleine Kinder immer wieder dazu ermutigt, Dinge auszuprobieren und zu üben, damit sie selbstständig werden. Seltsamerweise nimmt man Frauen oft ungefragt Dinge aus der Hand und lässt sie damit wieder unselbstständig werden.
Fotos. Doris Wiedemann



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Kommentare
Sehr schön geschrieben! Ich
Sehr schön geschrieben! Ich selbst, 1.60m klein, habe beim aus- und einparken auch noch so meine Probleme. Daher höre ich dann oft die äußerst hilfreichen Kommentare, ich solle mir doch eine kleinere Maschine holen, eine leichtere, vielleicht eine 125er? So einen Blödsinn mag ich mir nicht mehr anhören, deshalb vielen Dank hierfür!
Yes, I can
Als ich meine neue R 1200 GS Adventure Probe gefahren habe, war der 1. Weg nach Hause und rückwärts in die Garage. Als klar war, dass ich das allein hinkriege, habe ich mich ganz entspannt entscheiden. Die Balance und die Übung sind am Ende wichtiger als der absolute Kraftaufwand.. Traut euch Mädels!
Sehr gerne. Freut mich, dass
Sehr gerne. Freut mich, dass Dir der Beitrag geholfen hat. Leider sindnicht alle Tipps, die einem gegeben werden, hilfreich. Lass Dir nichts einreden, denn auch Schieben und Rangieren sind Dinge, die man üben kann. Dann klappt es mit jedem Motorrad.