
Schönste Sackgasse der Alpen: Kaunertaler Gletscherstraße
Die Kaunertaler Gletscherstraße will erobert werden, schließlich sind hier mehr Kehren als Kilometer mit reichlich Höhenunterschied zu bewältigen. Die Mühe lohnt, auch wenn die Rückfahrt auf gleicher Route stattfindet.
von Snežana Šimičić
Weniger dem Drang nach Perfektionismus (von dem so mancher Zeitgenosse aus meiner engsten Umgebung behauptet, er sei nur marginal vorhanden), ist es vermutlich geschuldet, dass ich bis zu diesem Sommer noch niemals die Kaunertaler Gletscherstraße abgefahren war. Dabei sind mir die Straßen Tirols beinahe genauso vertraut sind wie die sprichwörtliche Westentasche.
Der Grund dürfte eher in meinem Anspruch an Effektivität begründet sein: Gerade in den Alpen können die herrlichsten Pässe und Sehenswürdigkeiten miteinander verbunden werden, warum soll ich also einen Weg nehmen, der mich zwar zu einer landschaftlichen Besonderheit bringt, aber von dort aus nicht weiter? Sprich: Bei der Gletscherstraße handelt es sich um eine Sackgasse.
Bis zu jenem lauen Juni-Tag in 2009 hatte ich also nicht die leiseste Ahnung, was ich aufgrund dieser Bequemlichkeit bisher verpasst hatte. Mein ursprünglicher Plan für den Mittwoch, der die Wende bringen sollte, war die Besichtigung der Burg Berneck im Kaunertal – mit anschließender Tour entweder über den Reschenpass hinüber nach Bella Italia oder einem Abstecher ins Schweizer Val Müstair.
Burg Berneck ist im Privatbesitz
Bei meinen Vorbereitungen für den Tagestrip war mir allerdings entgangen, dass Berneck sich im Privatbesitz befindet und die heutigen Herrscher die Türen zu ihrem Reich nur sehr eingeschränkt dem gemeinem Volke öffnen. Ich sollte nicht in diesen Genuss kommen – und musste mich daher spontan entscheiden.
Dies fällt mir gemeinhin genauso leicht, wie den meisten Europäern das Erlernen der chinesischen Sprache oder das Erklären der Relativitätstheorie. Ich ließ mich auf meiner Maschine daher zunächst ganz einfach treiben und lenkte mein Schätzchen beinahe automatisch in Richtung Feichten.
Nicht ganz zehn Kilometer weiter kam ich dort am Startpunkt der Kaunertaler Gletscherstraße an und begriff dies als Wink des Schicksals. Nun denn, es sollte wohl so sein. An der Kasse bekam ich aufgrund der geforderten Maut von zwölf Euro noch einmal kurz einen Schrecken, hielt allerdings eisern an meinem einmal gefassten Plan fest.
Weiß gepuderte Gipfelspitzen
Kaum hatte ich mein Wechselgeld verstaut, den Anlasser wieder betätigt und die ersten Kilometer hinter mich gebracht, kam mir jedoch eine weitere unliebsame Charaktereigenschaft in die Quere: Ungeduld! Der Eingang dieses Tals ist durchaus hübsch und die unterschiedliche Farbgebung der mich umrahmenden Gebirge mit zugehörigen, weiß gepuderten Gipfelspitzen vom Madatschkopf (3 783 Meter), Waze Kopf (2 918 Meter) und Stange (2 723 Meter) zu meiner Linken faszinierend. Doch: Wann geht es denn mit dem Fahrspaß los? Bisher war es ja kaum nötig gewesen, auch nur die Lenker ordnungsgemäß mit beiden Händen zu fassen.
Endlich: Die ersten Kehren kamen und ich lege mich begeistert hinein. Doch schon an der zweiten, das Schild verriet mir, es handelte sich um Kehre 28, musste ich kurz innehalten. Rechts neben dem Abbruchgebiet erspähte ich einen tierischen Freundeskreis, bestehend aus mehreren Gemsen und wenn ich richtig gezählt hatte, sogar drei Steinböcken. Mein stets für Tiere innig schlagendes Herz war entzückt. Dennoch fing meine Gashand schnell wieder an zu jucken.
Allerdings wurde sie nur wenige Kilometer weiter vom Bremsfuß abgelöst: Um mich herum öffnete sich das Tal und gab den Blick auf überwältigendes Blau frei. Ich befand mich genau vor der Dammkrone des Gepatschstausees – und bereute im selben Augenblick, meinen Bikini nicht verstaut zu haben. Ein Sprung ins Nass wäre genau das Richtige gewesen.
Da das Baden vermutlich ohnehin verboten (respektive das Wasser für meinen Geschmack wahrscheinlich viel zu kalt) war, fuhr ich munter weiter. Die folgenden sechs Kilometer immer östlich am Ufer entlang.
Und dann ging es endlich richtig los mit dem Spaß. Ich durfte nun am eigenen Leib und im wahrsten Sinne des Wortes „erfahren“, was mir einige Biker aus meinen diversen Netzwerken prophezeit hatten.
29 Kehren auf 26 Kilometern
Diese Gletscherstraße trägt nicht ohne Grund den Beinamen „Panoramastraße“ und ist für Pässeenthusiasten ein Muss. Das Motto scheint zu sein: hoch, höher und noch höher. Insgesamt wollen auf der Kaunertaler Gletscherstraße mehr Kehren (29) als Kilometer (26) erkundet und ein Höhenunterschied von knapp 1 500 Meter verkraftet werden. Die durchschnittliche Steigung beträgt dabei stolze zehn Prozent.
Ich begab mich also hinein ins Vergnügen und genoss die nun am Stück folgenden 13 perfekt ausgebauten Kehren, die mich geradewegs hinauf in die karge beige-braune Gebirgslandschaft brachten.
Wahrscheinlich ist es müßig zu erwähnen, dass das Ziel, der Parkplatz auf 2 750 Meter Höhe – und gleichzeitig das Ende der Kaunertaler Gletscherstraße viel zu schnell erreicht war. Dennoch: Das Verweilen und Schauen hatte was. Schließlich konnte ich nun endlich auch den Gipfel der 3 335 Meter hohen Weißseespitze, immerhin das Wahrzeichen des Kaunertals, erkennen. Allerdings haben Klimawandel und mutmaßlich auch der fast ganzjährig tobende Skizirkus dem Gletscher arg zugesetzt.
Die älteste Alpenvereinshütte Österreichs
Die äußere Anmutung des Bergrestaurants konnte mich nicht zu einem Imbiss überzeugen, obwohl vor allem mein Kaffeedurst mittlerweile immens war. Glücklicherweise arbeitete mein Gehirn in der Höhenluft vorzüglich, da mir plötzlich in den Sinn kam, kurz hinter dem Stausee den Abzweig zu einer Alpenvereinshütte gesehen zu haben. Schnell traf ich daher den Entschluss, wieder zurückzufahren – und damit erneut die herrlichen Kurven unter mir zu spüren.
Und dann saß ich da, auf der Außenterrasse des 1873 errichteten Gepatschhauses, das damit die älteste Alpenvereinshütte Österreichs ist. Bei einer großen Tasse Kaffee und einem herrlichen Stück Apfelkuchen genoss ich nicht nur den Blick auf eine kleine Kapelle, sondern vor allem die Natur, die sich vor mir wie im Bilderbuch ausbreitete und dankte der Vorsehung noch einmal für die an diesem Tag verschlossenen Türen der Burg Berneck.
Bald darauf machte ich mich wieder auf den Rückweg, leider nicht auf der westlichen Uferstraße, die aufgrund von Bauarbeiten gesperrt war. Wenn das mal kein Zeichen für einen erneuten Besuch sein sollte…
Fotos: Snežana Šimičić
Information
Kaunertaler Gletscherbahnen
A-6524 Feichten im Kaunertal
T +43 (54 75) 55 66



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Kommentare
Toll
Der Kaunertaler Gletscher ist toll zum fahren :-) War ich auch schon 2x und da er kostenpflichtig ist, ist er zum Glück auch nicht so überlaufen