
Römer und Preußen
Das römische Reich hat am Niederrhein faszinierende Spuren hinterlassen. Und auch die Preußen waren hier allgegenwärtig. So wird eine Tour durchs platte Land unvermittelt zu einer spannenden Geschichtsstunde.
Dinslaken, Autobahnende. Die A59 hat uns auf ihren letzten Metern gehörig durchgerüttelt. Jetzt stehen wir an der Tanke und warten auf unsere Begleitung. Und das ist nicht gerade irgendwer…
Selbst in unserem Job kommt es nicht alle Tage vor, dass wir uns mit einer „öffentlichen Person“ zu einer Ausfahrt verabreden können. Aber es war einfach zu verlockend, als wir erfuhren, dass die Erste Bürgermeisterin von Düsseldorf, Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, passionierte Bikerin ist. In der nächsten Ausgabe von ALPENTOURER erhält sie, zusammen mit anderen Bikerinnen, reichlich Platz für die Persönlichkeit. Heute und hier geht es erst mal ums Kennenlernen – und Fahren.
Die Politikerin ist Vorsitzende der FDP-Ratsfraktion, kein leichtes Amt in diesen Tagen. Und seit drei Jahren vertritt sie den OB, Dirk Elbers von der CDU, bei öffentlichen Auftritten, sollte dieser verhindert sein. Als sie den Helm abnimmt und uns begrüßt wird schnell klar: Hier kommt eine Frau, die genau weiß, was sie will.
Motorradfahren ist für sie ein Lebensgefühl, ein absolutes Muss. Sie braucht diese Zeit auf der Straße, um Kraft zu schöpfen, den Kopf frei zu bekommen und ganz für sich zu genießen. Entsprechend fiel die Wahl nach einer langjährigen Kinderpause auf eine BMW R1200C. Der Cruiser kommt ihr bei 1,65 Meter Körpergröße entgegen, hat aber genug Power, um auch als Spaßbike herzuhalten.
Erstaunlich ist, dass sie zu den ganz wenigen Frauen der Szene gehört, die nicht über den Mann zum Mopped kam. Den Führerschein hat die heute 53-Jährige mit 18 gleich mitgemacht: „Das war viel einfacher, ich brauchte nur zwei Stunden. Das lief eher nebenher. Heute ist es viel komplizierter und vor allem teurer.“
Ruf der Politik
Nach dem Abitur studierte sie in München Publizistik und Politologie. Nach freier Tätigkeit für den Bayerischen Rundfunk wechselte sie in die Verlagsbranche, der sie über 20 Jahre lang treu blieb. Erst spät folgte sie dem Ruf der Politik – weil sie sich einmischen, etwas erreichen wollte.
Genug gequatscht, ich mahne zum Aufbruch. Schließlich wollen wir uns von Frau Bürgermeisterin mit auf eine typische Samstagsrunde mitnehmen lassen. Also rollen wir zunächst gemächlich auf der B8 von Dinslaken nach Voerde. Dort schlagen wir einen Haken westwärts und sind schon nach wenigen Kilometern am Ufer des Rheins angelangt, dem wir „über die Dörfer“ folgen. Mehrum und Ork heißen die ersten Dörfer, durch die wir unsere Bikes bewegen. StraZi, wie sie auf den Fluren des Düsseldorfer Rathauses – in Abwesenheit – gerne genannt wird, fährt sicher und zügig, gönnt sich aber auch immer wieder interessierte Blicke in eine Landschaft, die sie zwar schon kennt, der sie aber immer wieder Neues abgewinnen kann. Das ist auch etwas, was sie am Motorradfahren so schätzt.
Wir schlängeln uns über schmale Pfade näher an Wesel heran. Die Stadt mit 60.000 Einwohnern hält gleich zwei Überraschungen für uns bereit. Zum einen gehört sie dem Hansebund der Neuzeit an und darf sich ergo Hansestadt nennen. Das kennen wir ansonsten doch nur von norddeutschen Städten. Zum anderen gibt es hier ein 1998 eröffnetes Preußen-Museum, das sich umfassend der preußisch-rheinischen Geschichte widmet. Okay, Preußen war für mich immer weit weg. Berlin, Brandenburg und so. Aber in Wesel?
Tatsächlich zählte die Region rund um die Stadt schon 1680 zu Brandenburg-Preußen – und blieb Teil des preußischen Herrschaftsbereiches bis an sein unseliges Ende mit der Abdankung des Kaisers nach dem Ersten Weltkrieg. Als Museumsbau dient das ehemalige Getreidedepot der Weseler Festungszitadelle, das um 1835 errichtet wurde. Insgesamt stehen etwa 2.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche zur Verfügung. Der Schwerpunkt der Präsentation liegt auf der über 300-jährigen Geschichte Brandenburg-Preußens im Rheinland.
Wir umrunden den kleinen Auesee und stoßen immer wieder auf die erstaunlich schönen Rheinauen. Es ist eine stille Landschaft, weitab von der Hektik der Großstadt. Kein Wunder, dass sich die Bürgermeisterin hier so gerne erholt. Grünes Gras und stille Gewässer gibt es hier reichlich. Als letztes werfen wir einen Blick auf das Reeser Meer, eher ein Tümpel, bevor wir in die Stadt Rees selbst einfahren.
Backsteinbauten prägen auch hier, wie fast überall am Niederrhein, das Stadtbild. Unser Ziel ist die Rheinpromenade mit ihren Cafés und Kunstwerken. Der „Rhinkieker“, eine vom Bildhauer Dieter von Levetzow geschaffene Skulptur, hat am Marktplatz ihren Platz gefunden. Dort schaut sie durch ein Seitensträßchen auf den vorbeifließenden Rhein. Dargestellt ist ein für Rees typisches Original, einer von zahlreichen ihrer Stadt und dem Rhein verbundenen Bürger, die sich am Rand des Marktes zum Klönen treffen und dabei gerne die Schifffahrt „unter die Lupe“ nehmen.
Skulpturenpark in Rheinnähe
An der Promenade selbst hat der Bocholter Künstler Jürgen Ebert seine Skulptur „Zwiegespräch“ errichtet, die zwei Mädchen bei eben dieser Tätigkeit darstellt. Es zählt heute zu den beliebtesten Fotomotiven der Stadt. Fündig werden könnten wir auch im Skulpturenpark. In Rheinnähe wird Künstlern aus Deutschland und den Niederlanden Gelegenheit gegeben, ihre Werke zu präsentieren. Seit Juni 2008 befindet sich hier eine Bodensonnenuhr, an der jeder Besucher selbst als Zeiger fungieren kann.
Auch wir werden schnell erfasst von der beruhigenden Atmosphäre am zügig der Nordsee entgegen strömenden Fluss, der hier allgegenwärtig ist. Wir vergessen uns fast in unserem „Driegespräch“… Für die eigentlich vorgesehene Kaffeepause ist es uns hier aber eine Spur zu umtriebig – auch, weil heute das Feuerwehrfest steigt. Also starten wir die Zweizylinder, den deutschen Boxer und den norditalienischen V-Motor, winken den Skulpturen good-bye und nehmen die Brücke über den Rhein nach Kalkar.
Wow, allein der Name dieser Stadt weckt Erinnerungen. Ein gigantisches Projekt sollte hier entstehen, ein Kernkraftwerk der ganz anderen Art, ein Schneller Brüter. Dreieinhalb Milliarden Euro wurden in fast 14 Jahren bis 1986 verbaut – allen Demos und Gegenargumenten zum Trotz. Doch am Ende musste selbst die konservative Bundesregierung einsehen, dass gegen den Willen charismatischer Köpfe wie Josef Maas, auch bekannt als „Bauer Maas“, ein solcher Gigantismus nicht durchzusetzen war. Im März 1991 war der Schnelle Brüter endgültig vom Tisch, Kalkar konnte aufatmen.
Ganze 2,5 Millionen Euro wurden erlöst, als das Gelände an einen niederländischen Investor ging. Der machte aus dem größten Geldgrab der Kernkraftgeschichte einen Freizeitpark mit Hotels, Restaurants und Sportanlagen. Das „Wunderland Kalkar“, das mittlerweile auch Tagungen und Fachmessen veranstaltet, konnte schon 2004 rund 280.000 Besucher und rund 170.000 Übernachtungen verzeichnen. Mit 230 ganzjährig Beschäftigten und rund 300 Saisonkräften ist es einer der größten Arbeitgeber in Kalkar.
Mitte der 1990er Jahre wurde auch die historische Turmwindmühle der Stadt restauriert, ein Versuch, dem Namen Kalkar wieder positiven Klang zu verleihen. Mit neuen Flügeln und zwei neuen Mahlwerken ist die „Kalkarer Mühle“ heute wieder voll funktionsfähig. Der ehemalige Getreidespeicher beherbergt jetzt eine Gaststätte. In Erinnerung an die Kalkarer Bierbrauer-Tradition wurde hier zudem eine Brauanlage installiert.
Wir können einen Blick auf das gute Stück werfen, als wir auf dem Marktplatz vor dem imposanten Rathaus ausrollen. Die Sonne versteckt sich zwar hinter ein paar grauen Wolken, frisch ist es auch geworden, wir genehmigen uns in der Außengastronomie trotzdem eine Portion Waffeln mit heißen Kirschen und Sahne und dazu einen wärmenden Kakao. Auf einem Schild am Rathaus entdecke ich zufällig schon wieder das Wort Hanse. Und tatsächlich: Auch Kalkar gehört dem Städtebund an, der zunehmend unser Interesse weckt. Aber das wird ganz sicher eine andere Geschichte.
Geschichten weiß bei Speis‘ und Trank auch Marie-Agnes Strack-Zimmermann zu erzählen. Gerne berichtet sie von ihren Fahrten nach Griechenland – zu denen ihr nicht bikender Ehemann per Flieger hinterher reiste – oder von ihren Aufenthalten in den USA, wo sie gemeinsam mit ihrem Bruder durch allerlei unterschiedliche Regionen streifte. Gerade erst ist sie zurückgekehrt von einer Tour durch den Alten Süden und zeigt sich noch immer beeindruckt.
Beeindruckend ist sicher auch ein Besuch in Schloss Moyland, unserer nächsten Station.
Leider haben uns die amüsanten und interessanten Gespräche viel Zeit gekostet. Ein Besuch des faszinierenden Bauwerks, vor allem aber der grandiosen Kunstsammlung, die es beherbergt, muss auf ein anderes Mal verschoben werden. Zeit sollte man sich hier schon nehmen, immerhin warten hier nahezu 5.000 Arbeiten – und damit der weltweit größte Bestand an Werken – von Joseph Beuys auf Erkundung.
Wir erkunden derweil einen interessanten Weg nach Xanten. Abseits der Bundesstraße streifen wir zunächst den Xantener Nordsee und dann sein Südsee-Pendant. Südsee-Feeling am Niederrhein? Nicht wirklich. Macht aber auch nichts, wir sind jetzt nämlich voll und ganz auf Römer eingestellt. Vor über 2.000 Jahren machten sich die expansiv denkenden Italiener hier breit, in ihrer Colonia Ulpia Traiana.
Römerstadt Xanten
Unser Ziel ist der Archäologische Park Xanten, ein Freilichtmuseum mit originalen und rekonstruierten römischen Bauten. Dem Park angegliedert ist das vom Landschaftsverband Rheinland (LVR) betriebene Römermuseum Xanten. Mit einer Kombikarte erhalten wir Eintritt in beide Bereiche.
Dabei erfahren wir auch, dass unsere Bürgermeisterin auch stellvertretende Vorsitzende des LVR und zudem Schirmherrin des Römermuseums ist. Uns interessiert aber längst die aktuelle Ausstellung (noch bis 12. Februar 2012): „Gefährliches Pflaster“. Kein Verbrechen ist perfekt. Auch in der Antike haben zahlreiche Mörder, Diebe und Betrüger ihre Spuren hinterlassen. Hier folgen Besucher einer Art historischem CSI.
Xanten ist aufregend, das archäologische Gesamtangebot überwältigend, die Sonderausstellungen immer wieder einen Kurztrip wert. Hinzu kommen die sommerlichen Konzerte im Amphitheater. Einen solchen Besuch mit einer kleinen Entdeckungsrunde rechts und links des Rheins zu verbinden, verspricht wahrlich ein schönes Wochenende.
So viel Zeit bleibt uns leider nicht, die Ausstellung ist aber längst im Kalender des iPhone gespeichert. Wir rollen derweil auf leisen Sohlen durch das Naturschutzgebiet Xantener Altrhein, schlagen noch ein paar Haken durch das dörflich geprägte Umland und finden uns schließlich auf der schnurgerade verlaufenden B57 nach Rheinberg wieder. Das macht nun wahrlich keine Freude. Eine kleine Abwechslung bietet der schnelle Fotostopp, den wir einlegen: Das Ortsschild von „Alpen“ muss als Motiv herhalten. Weil aber auch hier keine Kurve in Sicht ist, freuen wir uns umso mehr über die nächsten Trampelpfade, die wir ans Rheinufer und in seine Auen befahren.
Der kleine Hunger meldet sich mittlerweile als ganz großer, die Tour neigt sich ihrem Ende zu. Ob wir noch gemeinsam was essen? Aber sicher! Der Wunsch nach Nahrungsaufnahme steht „StarZi“ ins Gesicht geschrieben. Meine untrügliche Spürnase wenn es um Kulinarisches geht führt uns in Baerl über den Niederhalener Dorfweg ans Rheinufer. Auf der Terrasse von Haus Rheinblick genießen wir Fischspezialitäten, Sonnenstrahlen und einen gemeinsamen Rückblick auf eine wunderbar entspannte Tour mit der Ersten Bürgermeisterin von Düsseldorf.
Wir verabschieden uns herzlich, die Hemmungen des Vormittags sind gewichen, das gegenseitige Interesse ist gewachsen, viele Fragen sind noch unbeantwortet, weil nicht gestellt. Das sind doch gute Voraussetzungen für eine baldige Wiederholung, nächstes Mal vielleicht in unserer Heimat, dem Bergischen Land.
Text: Stephan Fennel
Fotos: Snezana Simicic, Stephan Fennel
TOURENSTECKBRIEF
STRECKENLÄNGE: 150 km
ETAPPEN: Die Tour ist fahrerisch an einem Nachmittag zu bewältigen. Wer aber auch nur einige der möglichen Attraktionen einschließen möchte, kann sich durchaus auch ein ganzes Wochenende hier aufhalten.
CHARAKTERISTIK: Einfache Route über kleine, manchmal enge Straßen und Wege. Wenig Kurven, keine Kehren.
ATTRAKTIONEN: Preußenmuseum Wesel, Rheinpromenade Rees, Wunderland Kalkar, Kunstsammlung Schloss Moyland, Archäologischer Park und Römermuseum Xanten, Naturschutzgebiet Xantener Altrhein, Haus Rheinblick in Baerl.
Diese Tour ist eine von 17 vorgestellten Routen aus dem ALPENTOURER SPEZIAL DEUTSCHLAND, das seit Mitte Oktober für 7,50 Euro im Handel oder direkt beim Verlag (www.motourmedia.de) erhältlich ist.



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