
„Ich würde mein Überleben nicht von elektrischen Hilfsmitteln abhängig machen!“
In Garmisch-Partenkirchen war Anfang Oktober schon Schneechaos, das restliche Deutschland wartet noch auf den Winter. Und die Motorradfahrerinnen? Wie wappnet frau sich gegen durchdringende Kälte? Extrembikerin Doris Wiedemann (siehe Winterreise nach Alaska) gibt im Gespräch mit fembike Tipps.
Gibt es eine grundsätzliche Erfahrung für Fahren im Winter?
Das wichtigste, was man wissen muss, ist: Nicht die Klamotte isoliert, sondern die Luftschicht, die sie einschließt. Deshalb nützt ein zusammengepresster Fleece nichts. Auch der dickste Daunenschlafsack wärmt auf der Unterseite nicht, weil man darauf liegt und das eigene Körpergewicht die Isolationsschicht, die die Daunen aufbauen, einfach plattdrückt. Deshalb friert man ohne Isomatte auch im dicksten Schlafsack, weil er fluffig sein muss, das heißt, viel Luft einschließen, um gut warm zu halten. Andererseits darf die Luft nicht zirkulieren können, wie etwa in einer Luftmatratze, sondern muss in kleinen Luftblasen eingeschlossen sein, wie etwa bei der Therm-A-Rest-Matte, die wie ein Schwamm aufgebaut ist, der die Luft einsaugt und dann in kleinen Kammern speichert.
Am schlimmsten trifft es ja die Extremitäten wie Füße und Hände.
Hier gilt dasselbe: Will man also zwei paar Socken übereinander tragen, muss das obere Paar eine halbe bis eine ganze Nummer größer sein, damit es nicht die Luftschicht aus dem unteren Paar herauspresst. Beim Motorradfahren liegt zum Glück nicht das gesamte Körpergewicht auf den Fußsohlen, dennoch ist eine isolierende Schuhsole empfehlenswert. Darüber hinaus können beheizbare Sohlen ein schöner Luxus sein oder ein BMW-Boxermotor: Der hält den Fahrtwind ab und wärmt, außerdem lässt sich das Motorrad leichter wieder aufheben, falls es mal wegrutscht. ;-)
Ihr habt euch auch bei anderen Berufsgruppen umgeschaut.
Jäger haben ein ähnliches Problem mit der Kälte, denn beim sogenannten Ansitz im Winter rühren sie sich auch stundenlang nicht – ebenso wie Motorradfahrerinnen. Deshalb gibt es im Jägerbedarf auch viele gute Tipps. Die Klan-Heiz-Klamotten, die ich auf der Alaskafahrt getragen habe, werden beispielsweise auch für Jäger angeboten. Man bekommt dafür auch externe Akkus, sie heizen also auch unabhängig vom Motorrad-Bordnetz und man kann mit ihnen herumlaufen. Eine feine Sache, wenn man auf den Christkindlmarkt fährt.
An den Händen friert frau auch gern.
Ich habe schnell kalte Hände, deshalb fahre ich auch im Sommer mit Heizgriffen. Gerade abends, wenn man aus dem Biergarten kommt und nur dünne Handschuhe dabei hat, kann man dank Heizgriffen im Notfall immer noch problemlos eine Notbremsung durchführen, weil man warme Finger hat. Will man im Winter mit dem Motorrad fahren, führt kein Weg an Lenkerstulpen vorbei. Sie müssen nicht gefüttert sein, denn das hilft wenig.Wichtig ist, dass sie winddicht sind und den Fahrwind vollständig abhalten. Dann können auch beheizte Handschuhe wärmen, deren Heizdrähte meist außen sind. Ohne Lenkerstulpen nimmt der kalte Fahrtwind den größten Teil der Heizleistung weg, bevor sie überhaupt bei den Fingern ankommt. Vielen Winterfahrerinnen reichen aber schon dicke Handschuhe und Lenkerstulpen, sie brauchen dann keine Heizgriffe mehr. Ich war beispielsweise mit den BMW Winterhandschuhen und Touratech Lenkerstulpen bis -15°C bequem unterwegs.
Hier helfen wiederum die Heizgriffe, denn die heizen von innen. Schon hat man ein Sandwich.
Aber beim Thema Heizgriffe im Winter sollte man bedenken, dass die Wärme bei dicken Winterhandschuhen eine ganze Zeit braucht, um durch die Isolationsschichten der Handschuhe durchzudringen. Dünne Handschuhe sind da besser, sagen manche Winter fahrer. Dumm ist es dann jedoch, wenn ein Heizgriff kaputt geht. Ich fahre deshalb lieber mit dicken Handschuhen und warte ein bisschen länger auf die wärmende Wirkung der Heizgriffe.
Bei deiner Alaskareise hattest du beheizte Socken, Hose, Jacke, Handschuhe, ein beheiztes Helmvisier und Heizgriffe ...
… trotzdem war ich warm genug angezogen, um die Kälte auch ohne elektrische Hilfe auszuhalten. Ich würde mein Überleben nicht von elektrischen Hilfsmitteln abhängig machen. Beispielsweise kann ganz leicht Salz in die Kontakte geraten und dann fällt die Heizung aus. Alle extremen Winterfahrer die ich kenne sagen: Die elektrischen Klamotten sind ganz nett, aber man muss dennoch warm genug angezogen sein, dass man auch ohne diese Hilfsmittel durchkommt.
Und da die Wärme von innen kommt, ist die richtige Unterwäsche gefragt.
Als unterste Schicht ist für mich Wolle immer die erste Wahl. Sie ist Temperatur ausgleichend und stinkt weniger als die Kunststoffunterwäsche. Gerade wenn man beim Elefantentreffen zwei oder drei Tage ohne Dusche im Zelt lebt, weiß man es zu schätzen, wenn sich die Geruchsentwicklung in Grenzen hält. Außerdem wärmt Wolle auch dann noch, wenn sie feucht ist. Bei den Kunstfasern, die ich kenne, geht die Wärmewirkung im nassen Zustand stark zurück. Menschen, die Wolle nicht direkt auf der Haut vertragen, rate ich zu einer ganz dünnen Unterwäsche aus Kunstfaser. Die sind so dünn, dass sie nicht wärmen, sondern nur Schweiß vom Körper weg transportieren. Ein wichtiger Aspekt, wenn man doch einmal ins Schwitzen kommt, weil man das Motorrad schieben oder aufheben muss, eine Schneeballschlacht macht oder im Schnee feststeckt.
Und darüber?
Als Oberbekleidung trage ich auf der Kurzstrecke gern den guten alten Thermoboy, in den man schnell und einfach hineinschlüpfen kann. Darunter ziehe ich gerne leichte Motorradkleidung, damit ich trotzdem durch Protektoren geschützt bin. Bei längeren Strecken verzichte auf den Overall, weil ein Toilettengang als Frau mit dieser großen Stoffmenge praktisch unmöglich ist. Sie lässt sich einfach nicht in die Kniekehlen klemmen und hängt dann nicht nur mit den Ärmeln auf dem nassen Toilettenboden oder im Schnee herum. Ein guter, warmer Zweiteiler funktioniert genauso gut, wenn man gegen die Kältebrücke zwischen Ober- und Unterteil eine einteilige Regenkombi über zieht. Ich nehme den Regenkombi und den Thermoboy gerne etwas größer, um leichter rein und raus zu schlüpfen. Im Winter fährt man ja nicht so schnell, da macht es auch nichts, wenn die Kombi ein bisschen flattert.
Wichtig ist außerdem eine gute Sicht.
Bei Helmen ist meiner Information nach HJC derzeit der einzige Hersteller, der beheizbare Visiere vertreibt. Alle anderen haben maximal Antibeschlag-Visiere im Angebot. Im Internet gibt es aber Bastelanleitungen, wie man ein beheiztes Visier mit etwas handwerklichem Geschick selbst herstellen kann. Mit der richtigen Wattzahl weht einem dann auch noch ein laues Lüftchen um die Nase. Um auch in punkto Visier nicht vom Strom abhängig zu sein, habe ich mir nach Helge Pedersens Anleitung, die in meinem Buch Winterreise nach Alaska auf Seite 82 steht, einen Schnorchel gebaut, der die feuchte Luft beim Ausatmen aus dem Helm heraus leitet.
Fährst du eigentlich – wenn du nicht gerade in Alaska unterwegs bist – im Winter Motorrad?
Auf deutschen Straßen fahre ich im Winter nur zu besonderen Gelegenheiten, also beispielsweise Wintertreffen wie das Elefantentreffen im Bayerischen Wald. In Deutschland darf man – im Gegensatz zur Schweiz und Skandinavien - nicht mit Spikes fahren, deshalb ist mir das Zweiradfahren auf vereisten Straßen zu gefährlich. Das Salz macht zudem die Motorräder ziemlich kaputt und meine zwei BMWs, mit denen ich so viele Abenteuer auf meinen Reisen erlebt habe, sind mir einfach zu sehr ans Herz gewachsen, um sie dem Salz auszuliefern. Ich habe auch keine Möglichkeit, meine Bikes jedes Mal nach dem Fahren abzuspritzen. Andererseits ... wer ein kleines, günstiges Wintermoped für mich weiß ... bitte melden! :-)
Ausrüstungsliste:
auf www.doris-wiedemann.de mit allem, was Doris Wiedemann auf ihrer Winterreise nach Alaska dabei hatte.
Wichtige Links:
Thermoanzug, Heizvisier: http://art-for-function.com/shop/
beheizte Klamotten, Handschuhe, Schraubspikes, Lenkerstulpen: http://shop.touratech.de/fahrerausstattung.html?cat=20740



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