
Die ist doch viel zu groß!
Ich habe vor ein paar Wochen meine „kleine“ F 650 GS gegen eine „große“ F 1200 GS eingetauscht. Es ist witzig, wie meine Umgebung darauf reagiert hat und noch reagiert. Mein Bikepartner fährt selber die „Dicke“ und er findet es klasse, dass ich gleichgezogen habe. Von jemand anderem bekam ich zu hören, dass ich jetzt ja wohl vollständig dem Streamline zum Opfer gefallen wäre. Die würde doch jeder fahren. Die hätte keinen Charakter (man muss dazu sagen, dass seine so viel Charakter hat, dass sie nur anspringt, wenn sie will ... na, wer’s braucht). Aber überwiegend wurde ich gefragt, ob die GS nicht viel zu groß und zu schwer sei.
Ja, die GS ist groß und sie ist auch eindeutig ein Männermotorrad, was ich daran merke, dass meine Arme irgendwie zu kurz sind. Hier bin ich noch auf der Suche nach einer Lösung. Aber sie macht Laune und ich fühle mich auf ihr um ein Vielfaches sicherer und wohler als auf der kleineren 650er.
Hätte ich auf meine Umgebung gehört, hätte ich mit dem Tausch noch ein Jahr gewartet. Als Anfängerin gleich so ein Monster ... Du hast die andere doch gerade erst gekauft ... Die ist ja selbst für einen Mann schwierig zu rangieren ... Stimmt alles. Und all dies ist mir auch durch den Kopf gegangen.
Ich gebe zu, ich hatte schon ein wenig Muffe, als ich die Schlüssel bekam. Was wenn ich nicht zurecht komme? Wenn sie mir umkippt und ich sie nicht mehr aufgerichtet bekomme? Mein Hirn gab sich alle Mühe ein Horror- und Peinlichkeitsszenario nach dem nächsten zu produzieren. Ich war kurz davor die ganze Sache abzublasen und unter der Rubrik „Dumme Idee“ abzuspeichern.
Aber wozu bin ich Somatic Coach*? Also habe ich mich mal kurz zu meinem eigenen Klienten gemacht und mein Nervensystem reguliert. Neugierig wie?
Erst mal raus aus der Situation
Ich bin als allererstes zur Toilette gegangen. Hier in der Ruhe, Abgeschiedenheit und sicheren Entfernung habe ich ein paar Mal tiiiief durchgeatmet und mich bewusst im Raum umgeschaut. Spiegel, Handtuchrolle, Seife, Waschbecken, ... . Wenn das Nervensystem ein wenig rotiert, geben solche realen Dinge Orientierung und Sicherheit. Denn das, was gerade in einem los ist, ist diffus und unstrukturiert. Ein an der Wand montiertes Waschbecken aber ist fest, anfassbar und einfach herrlich real. Dabei mit den Zehen wackeln und den ganzen Körper ein wenig recken und strecken. Das lockerte die durch den Stress steifen und blockierten Gelenke. Danach sah die Welt schon anders aus.
Beide Teile mit aufs Bike
Das, was einen in solchen Situation so würfelt, ist der scheinbar unlösbare innere Konflikt. Ein Teil in uns will und ein Teil will nicht. Eine Patt-Situation, denn ein bisschen schwanger geht ja auch nicht. Für eine Entscheidung muss man einen Teil mundtot machen – nur lassen sich solche inneren Anteile nicht komplett zum Schweigen bringen. Sie grummeln und stressen weiter. Hier hilft nur eins: Ganz bewusst beide mit aufs Bike nehmen! Ich habe den Teil, der Angst hatte und unsicher war, vor mich aufs Bike gesetzt und den Teil der neugierig war und gar nicht schnell genug vom Hof kommen konnte, auf dem Sozius platziert. Als beide ihren „Platz“ hatten, fühlte ich mich gleich innerlich ruhiger, denn ich musste mich nicht mehr für einen der beiden entscheiden. Und kaum war der Motor angesprungen, waren beide Teile neugierig.
Dieser kleine Trick funktioniert auch in anderen Kontexten. Ich mache z. B. im Juni 4 Tage Kurven- und Kehrentraining im Kaunertal. Da werde ich wieder zu Dritt auf meiner „Dicken“ sitzen. Denn allein der Gedanke an Kehren stresst mich während ich gerade drüber schreibe.
Manchen hilft es, für die beiden Teile Gegenstände auszusuchen und diese gut sichtbar recht uns links am Lenker zu befestigen. Man kann sie sich auch in die Jacke stecken, auf den Tankrucksack setzen ... Hier sind Deiner Kreativität keine Grenzen gesetzt.
Aber vergesst die kleine Auszeit nicht! Hat unser Nervensystem einmal Stress, dauert es 10 bis 15 Minuten bis es sich wieder reguliert hat. Also schnell zwei Stofftiere mit aufs Bike und los geht’s, funktioniert nicht.
*Was ist Somatic Coaching?
Coaching ist üblicherweise eine besondere Form des Gesprächs zwischen zwei Menschen. Und ein Gespräch findet zumeist auf einer rein kognitiven Ebene statt. Gedanken, Ideen, Visionen, Ziele, Werte, Probleme, Verhaltensweisen werden erzählt, besprochen, hinterfragt, sortiert, verworfen, (neu) kreiert. Nur knapp unterhalb des Schädels sitzt etwas, das über mindestens genauso viel Erinnerungsvermögen, Wissen und Ausdrucksformen verfügt wie unser Gehirn: Unser Körper. Und der hört bei allem, was wir tun, mit. Und reagiert – auf eine manchmal für unser Hirn unverständliche Art und Weise.
Im Somatic Coaching arbeite ich mit beiden Wissensebenen: Dem Kopf und dem Körper. Auf der Basis aktueller neurobiologischer Erkenntnisse rede mit Ihrem Kopf UND Ihrem Körper. Ich frage nach der Gesamtheit Ihrer Erfahrung. So kann nichts übersehen werden, und Sie erreichen Ihr Ziel mit einem klaren Kopf und einem guten, kraftvollen Gefühl im Bauch.
Text: Karin Intveen



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