
Harley-Davidson Roadster: die sportliche Sportster
Der jüngste Spross der Harley-Davidson Familie trägt das Kürzel XL 1200 CX. Harley-Fahrerinnen wissen sofort: Das ist eine neue Sportster. Genau gesagt, handelt es sich beim Junior um eine, auf das Minimum reduzierte, Roadster. Mit diesem Modell knüpft Harley-Davidson optisch an seine Renntradition der 50er und 60er Jahre an. Damals drehten Sportster als Rennmaschinen im amerikanischen Bahnsport erfolgreich ihre Runden.
Kurventaugliche Körperhaltung
So fällt bei der Sitzprobe die leicht nach vorne geneigte Körperhaltung sofort auf. Ungewohnt für eine Harley, die für mich bisher der Inbegriff des gemütlichen Cruisens war. Das Roadster-Feeling kommt zum einen durch die mittig angebrachten Fußrasten zustande, die die sonst Harley-typische laidback Position nicht mehr zulassen. Aber vor allem ist das höher gelegte Heck für die Körperhaltung verantwortlich. Hier kommen erstmals hochwertige Emulsion-Federbeine mit stufenlos einstellbarer Federvorspannung zum Einsatz. Daraus ergeben sich höhere Federwege, die, im Vergleich zu den anderen Sportster-Modellen, mehr Schräglagenfreiheit zulassen.
Ein Mehr an Schräglage braucht sie auch, denn die Testfahrt von Marseille nach St. Tropez ist kurvig. Starker Seitenwind begleitet uns außerdem während der Tour. Der Mistral bläst heftig und trotz reduziertem, aber dennoch unsportlichen 259 Kilo Kampfgewicht der Harley, muss ich den Lenker gut festhalten. Das Tempo ist hoch, auch ich ziehe am Kabel. Auf gerader Strecke entfaltet der luftgekühlte V2 Motor mit 1.200 Kubikzentimeter einen grandiosen Vortrieb, der mich fast vom Sitz lupft. Der Motor läuft ruhig und kommt ohne das vertraute Blubbern aus.
Als es kurvig wird, mache ich langsam. Ganz so sportlich wie erwartet, will die Roadster dann doch nicht um die Kurve. Ich versuche es mit Drücken, dann mit Gewichtsverlagerung. Auf der gerippten Sitzbank kann man sich gut bewegen. Also klappt dieses Manöver schon besser. Der Physik kann sich kein Zweirad entziehen. Doch irgendwie bleibt die Maschine störrisch. Dies könne an der Radgröße liegen, stellt ein Kollege fest. Das 19 Zoll große Leichtmetall-Vorderrad sieht zwar klasse aus, macht das Motorrad aber auch weniger agil. Für die schicke Optik der Räder sorgen auch 10 schräg im Drahtspeicherlook angeordnete Doppelspeichen, die eigens für die Roadster entworfen wurden. Als die Strecke holprig wird, schüttelt es mich ordentlich durch.
In der Stadt fallen vor allem die technischen Features positiv auf: Blinker, die sich nach dem Abbiegen selbständig ausschalten und der Keyless-Starter, der das Suchen nach dem Zündschlüssel überflüssig macht. Kupplungs- und Schalthebel sind wie gewohnt schwergängig, obwohl mir Styling-Director Brad Richards versichert, dass man an dieser Stelle optimiert hätte. Wie jede Sportster ist auch die Roadster serienmäßig mit ABS ausgestattet. Mit der Sitzhöhe von 785 Millimeter habe ich bei meiner Körpergröße von 1,66 Meter keine Probleme. Die Sitzbank ist relativ schmal und mit dem kleinen Erdnusstank wirkt die Roadster auch nicht wuchtig. Einzig die Positionierung von Fußrasten und Schalt- bzw. Kupplungspedal sind suboptimal. Beim Anhalten bleibe ich jedes Mal mit dem Hosenbein an den Fußrasten hängen. Also muss ich meine Füße hinter der Fußraste auf den Boden stellen, was erst mal ungewohnt und kippelig ist und außerdem blaue Flecke am Schienbein verursacht. Aber vermutlich hört das auf, wenn man öfter unterwegs ist und sich an das Bike gewöhnt hat.
In der Mittagssonne erstrahlt die Roadster in einem dunklen Rotton, Velocity Red Sulgo, um genau zu sein. Außerdem gibt es sie in zwei weiteren Schwarz-Varianten, Vivid Black und Black Denim, sowie in der Kombination Billet Silver & Vivid Black.
Sehen und gesehen werden
Die Roadster gehört zur Dark Custom Reihe, was weder mit der Farbe noch mit Motorcharakteristik und Laufkultur zu tun hat, sondern mit Marketing. Sieben Bikes gehören zu dieser Untermarke. Ihnen gemein ist eine minimalistische Ausstattung und ein üppiger Zubehörkatalog. Die „Black Lable“-Bekleidungslinie komplettiert die Submarke. Für Damen wartet sie mit einer großen Auswahl an Lederjacken, T-Shirts, Blusen, Taschen, Caps, Gürtel und Schmuck auf – alles Fashion, keine Schutzkleidung.
Doch Mode ist wichtig an der Cote d´Azur, wo sich die Schönen und Reichen tummeln. Während unser Ausgangspunkt Marseille ein farbenfroher, leicht schmuddeliger Schmelztiegel aus Einwanderern aus Afrika und mediterraner Lebensart ist, kommt St. Tropez mondän, reich und elitär daher. Vor allem am Jachthafen, mit seiner von Restaurants, Bars und Cafes gesäumten Promenade. Dieser herrlichen Kulisse kann ich mich nicht entziehen. Und irgendwie passen Harleys und Boote zusammen. Vielleicht weil beides Kindheitsträume sind. Diese Idee greift auch der aktuelle Slogan „live your legend“ auf, in der die Marke Harley-Davidson alle Phasen des Lebens begleitet. Im Spot fahren zwei Jungs und ein Mädchen auf BMX-Rädern. Als junge Erwachsene sind die drei Freunde auf der neuen XL 1200 CL unterwegs. Für viele wird diese Maschine wohl ein Traum bleiben, denn 12.700 Euro muss man für die Roadster schon hinblättern.
Wer ein auffälliges Bike fahren möchte und Abstriche beim Fahrkomfort macht, Spaß daran hat, sein Baby individuell aufzupeppen und bevorzugt mit ganz kleinem Gepäck unterwegs ist, dem wird die Roadster gefallen. Mit ihr macht frau nicht nur vor türkisfarbenem Meer eine gute Figur.
Text: Frauke Tietz
Fotos: Markus Jahn, Harley-Davidson, Frauke Tietz



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